Mittwoch, 3. November 2021

Individuelle Anatomie

Der persönliche Fingerabdruck

Oder: Die individuelle Anatonmie


Ich sage oft während meiner Kurse: Wie schön, daß die gleiche Übung bei jedem anders aussieht - und freue mich aufrichtig darüber.

Das bedeutet nämlich, daß die Teilnehmer ein gutes Gespür für ihren Körper haben und sich nicht an genormten idealisierten (Yoga) Mustern orientieren.

Hierbei ist jeder sein eigener Maßstab!


Das hängt mit der individuellen Anatomie zusammen.

Wenn Sie sich in einer größeren Gruppe befinden und sich die Menschen anschauen, dann sehen Sie, daß (normalerweise) jeder zwei Augen und zwei Ohren hat, eine Nase, einen Mund usw.

Und Sie sehen, daß trotzdem jeder sehr unterschiedlich aussieht: Der eine hat einen langen Hals, der nächste einen kurzen, der übernächste einen schmalen, und noch einer einen breiten. Sie können sich auf diese Weise den ganzen Menschen ansehen und Sie stellen fest, daß jedes Körperteil individuell verschieden aussieht. Abgesehen von der unterschiedlichen Größe ist die Proportion verschieden und die äußere Form. Nicht einer unter den über 7 Milliarden Menschen gleicht dem anderen, nicht mal eineiige Zwillinge gleichen sich zu 100 %.


Und das, was Sie im Außen sehen, ist genauso im Inneren. Wenn Sie sich noch an den Biologieunterricht erinnern und daran, wie z.B. ein Oberschenkelknochen aussieht, dann ist es hier genauso: Der Oberschenkelhals ist bei dem einem länger, bei dem anderen kürzer, dicker oder dünner oder steht in einem anderen Winkel zum Oberschenkelknochen usw. 

Beim Oberschenkelkopf sieht es nicht viel anders aus: Der eine ist runder, der andere länger, größer oder kleiner usw. - wie beim Kopf des Menschen auch.

Wenn Sie sich nun die Hüftpfanne ansehen oder vorstellen, dann gibt es auch hier gravierende Unterschiede: Die Hüftpfanne kann mehr nach vorne „schauen“, mehr nach unten oder oben, mehr nach außen oder mehr nach innen.


Jetzt stellen Sie sich alle Bausteine (Oberschenkelknochen, Oberschenkelhals, Oberschenkelkopf und Hüftpanne) zusammen vor, dann wird Ihnen klar, daß das alles eine Auswirkung auf die Ausführung hat, daß jeder seine eigene Art der Ausführung haben muß, wenn er den größtmöglichen Nutzen daraus ziehen will.


Vielleicht haben Sie auch schon sehnsüchtig auf ein Foto einer „Yogini“ geschaut, die ganz entspannt im „vollen Lotos“ sitzt (erklären)- und seufzend dachten: Ach, Yoga ist nichts für mich!

Oder die schlimmere Variante: Sie haben mit vielen Vorübungen (vergeblich) versucht, den vollen Lotos einzunehmen - und es hat nicht geklappt. Wahrscheinlich haben Sie schmerzende Knie und Hüften davon getragen.

Mein Rat: Hören Sie auf damit! Am besten fangen Sie damit gar nicht erst an!

Da ist einfach nichts zu machen.


Akzeptieren Sie Ihre individuelle Anatomie! Freuen Sie sich an dem, was Sie machen können und lassen getrost das andere weg. Das ist das Beste für Ihre Gesundheit.

Und ich erinnere Sie noch einmal daran: Weder der volle Lotossitz noch der halbe noch andere akrobatische Übungen sind notwendig, um vom Yoga zu profitieren!

Im Gegenteil: Es darf einfach und natürlich sein!


Bedenken Sie:

Yoga praktizierten ursprünglich nur junge, indische Männer. 

(Ich persönlich hatte noch nie ein solches Exemplar im Yogaunterricht.)

Diejenigen, die dafür ausersehen waren, Yoga zu praktizieren, fingen schon im Kindesalter an und wurden täglich persönlich von ihrem Guru (Yogameister) individuell betreut. Das bedeutet, wenn die Knochen noch weich und formbar sind. Aus diesem Grund funktioniert ja auch das Spreizhöschen bei Säuglingen mit Hüftdysplasie. Ab dem Moment, wo die Wachstumsphase abgeschlossen ist, kann man an dieser Knochenstruktur nichts mehr ändern.


Und wenn Se jetzt einfach mal an Ihr eigenes zurückliegendes Leben denken: Mit spätestens sieben Jahren sind Sie in die Schule gekommen. Das bedeutete: mehr sitzen, weniger bewegen. Und je länger Sie in die Schule gingen, desto mehr hat sich das Verhältnis von bewegen auf sitzen verschoben. 

Dann der Beruf: Auch da sitzen die meisten Menschen fast den ganzen Tag. Nicht wenige müssen zusätzlich noch längere Auto- oder Zugfahrten zur Arbeit einplanen - also noch mehr sitzen.


Deshalb wiederhole ich immer wieder in meinen Kursen:

Trauen Sie sich, Sie selbst zu sein.

Machen Sie nur das, was sich für Sie stimmig anfühlt. 

Sie haben es nicht nötig, die Kopie eines Lehrers oder Gurus zu werden. 

Sie müssen auch kein Artist beim Zirkus werden. 

Also wozu sollten Sie sich in Haltungen quälen, die Ihnen nicht nützen, sondern irgendwann Ihre Gesundheit ruinieren?


Trauen Sie sich, Ihrer Intuition und Ihrer Körperintelligenz zu folgen! Lernen Sie die Sprache Ihres Körper zu verstehen und folgen Sie den Anweisung Ihres Körpers.

Das allein wird Sie weiterbringen und auch Ihren Blick und Ihre innere Stimme für den Alltag schärfen und stärken.


Wie wollen Sie „in Ihrer Mitte ruhen“ - wie es so schön heißt - und im Einklang mit dem Leben sein, Ihre Kraft entfalten und entspannen, wenn Sie nicht einmal im Einklang mit Ihrem Körper sein dürfen? Wenn Sie die Warnsignale Ihres Körpers abtun sollen als „Ego, das man überwinden muß“?


Trauen Sie sich also, Sie selbst zu sein, indem Sie so atmen und sich so bewegen, wie Ihr Körper es sich wünscht und braucht. Dann wird sich Ihr Leben auf wunderbare Weise immer mehr von selbst entfalten.

Und Sie werden sich im Nachhinein erstaunt fragen: „Wie, so einfach ist das?“


Ja, so einfach ist das!